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Was war, bleibt ein Andenken – Gertraud Uhlich in Doris Uhlich‘s „Uhlich“

Im Zuge der Kooperation der Wiener Festwochen mit dem Tanzquartier entstanden fünf Uraufführungen mit Künstlern aus Wien. Es geht um das übergeordnete Thema „Signed, sealed, delivered“. Doris Uhlich inszeniert nun als eines dieser Uraufführungen ihre Mutter Gertraud Uhlich, nämlich so wie Doris in 30 Jahren befürchtet zu sein, böse formuliert. Netter formuliert versucht Doris mit der wohl immer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung künstlerisch umzugehen und das schafft sie auf reizende und gleichzeitig auf harmlose Art und Weise. Die Choreografie, die für Gertraud entworfen wurde, wird von Doris in dreißig Jahren aufgeführt, stellvertretend tritt also die Mutter jetzt für die Tochter auf.

Die Mutter Gertraud Uhlich wird dem Publikum ganz behutlich vorgestellt, diese tippelt eilig auf die Bühne, bleibt vorne stehen und betrachtet das Publikum. Dann legt sie ihre Tasche ab und zieht ihren Mantel aus und eilt wieder hinter den schwarzen Vorhang im hinteren Bereich. Sie kommt wieder ohne Tasche und Mantel und inzwischen sind schon viele kleine Lacher zu hören gewesen, weil die unbeholfenen Bewegungen und der tappelnde Gang lächerlich wirken. Nach einigen Auf- und Abgängen von Gertraud entstand schließlich eine Diagonale durch ihre Armbanduhr und Handtasche, auf der weiß beleuchteten Bühne, auf der sonst nichts war. Sie zittert zeitweise sehr stark und schüttelt sich, sie läuft wieder mit ihrem trippelnden Gang Kreise und bleibt dann stehen, um zu sagen: „Irgendwas stimmt nimmer!“, sie hat sich geirrt im Ablauf der Choreografie und alles lacht. Wie süß, wenn alte Damen vergesslich werden. Sie stampft laut auf und hebt den Rock an, sodass wir ihre Knie sehen und beichtet uns: „Mein Name ist Uhlich.“ und erzählt dem Diktiergerät aus ihrer Tasche: „Meine Lieblingsfarbe ist blau.“. Das haben wir uns schon fast gedacht, weil Gertraud ganz in Blau gekleidet ist, blauer Rock und dunkelblaues Shirt und es ist der 4. Juni 2041. Diese Bühne also in dreißig Jahren, es findet eine von vielen Verschiebungen statt, zwischen dem Jetzt und diesem zukünftigen Datum.

Dann holt Gertraud ein Kreidestück aus ihrer Tasche und schreibt in gefühlter Zeitlupe Tanzboden auf den Theaterboden, wobei das Z verkehr ist. Dann stellt sie sich auf das Kreidezeichen und winkt uns heran, ganz eingeladen fühlt man sich da. Sie gibt uns auch ein paar Vorschläge, was man so auf einem Tanzboden machen kann, so die typische John-Travolta-Nightfever-Bewegung. Gertraud wirkt jetzt sehr selbstsicher und frech. Ihre Bewegungsdynamik wechselt aber wieder in ein unsicheres Zucken, fast schon epileptisch werden die Bewegungen zwischendrin, so als ob sie eine gewisse Spannung entladen möchte. Dann holt Gertraud ein paar zerknitterte Blätter und ihre Lesebrille aus der Tasche und beginnt zu lesen. Es wird ein Auszug aus Derridas „Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen.“ vorgelesen, das ist aber am Anfang des Vorlesens noch nicht klar, denn es sieht so aus, als wäre das Gelesene von Gertraud selbst geschrieben, sie stellt Fragen über das Ereignis und was sie hier auf der Bühne eigentlich macht. Als der Text aber theoretischer wird und Begriffe wie performative Produktion, Syndrom und das Futur II auftauchen wird klar, dass Gertraud nur Derrida vorliest, ohne zu verstehen was ihre Tochter mit diesem Einschub eigentlich bezwecken wollte. Schließlich bleibt im Raum stehen, dass das Ereignis eine Überraschung bleiben muss. Diese Überraschung wird sich auch bald bemerkbar machen, denn kurz nachdem Gertraud sich eine Zigarette angezündet hat und über die Bühne schlendert, knall ein Scheinwerfer auf der linken Seite plötzlich nach unten und zerbricht, da hat Gertraud Glück gehabt, dass sie nicht getroffen wurde. Besonders erschrocken wirkt aber weniger Gertraud als das Publikum. Der Tod rückt näher und damit auch die Jugend, denn nach diesem Schock beginnt Gertraud ein Duett mit einer jungen weiblichen Stimme, die aus dem Off kommt, zu singen, darüber, was junge Menschen eben so machen, Wale retten und das System stürzen.

Aber es sollte eindeutig betont werden, dass Gertraud sich im Hier und Jetzt befindet und nicht mehr der Jugend hinterhertrauert, sie holt ihr Diktiergerät wieder hervor und bemerkt: „21:12 Uhr jetzt sitze ich da.“ und rollt sich umständlich von links nach rechts über die Bühne, dann spielt sie uns etwas vom Diktiergerät vor und spricht dann selbst darauf, dass es wichtig ist, die Möglichkeit des Fragens zu retten. Und das Publikum fragt sich vielleicht auch, was von dieser Performance bleibt und Gertrud liefert auch eine Antwort darauf, indem sie einen Teil der Kreideschrift wegwischt und aus dem Tanzboden wird Andenken. Eine sehr authentische Gertraud Uhlich verlässt schließlich die Bühne und hinterlässt einen kritischen Eindruck, denn oft hatte man das Gefühl, dass ihr selbst diese Performance sehr umständlich und seltsam vorkam, was natürlich auch daran liegt, dass Gertraud keine professionelle Tänzerin ist, aber damit räumt sie ihren eigenen Platz ein innerhalb der Performance, die von ihrer Tochter entworfen wurde.