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„Kein Luftzug im Hotel – Gesten und Fragmente der Einsamkeit“

„Wüstenbuch“  Theater Basel (UA 2009)

Musiktheater von Beat Furrer  (Klangforum Wien)

Inszenierung Christoph Marthaler

Vokalensemble NOVA

 

„Kein Luftzug im Hotel – Gesten und Fragmente der Einsamkeit“

 

Die imposante Bühne Duri Bischoffs zeigt einen zweistöckigen Hotelkomplex, in der oberen Etage drei unterschiedlich eingerichtete Hotelzimmer, unten ein kalkweißer Keller, in welchem ausrangierte Möbel stehen. Davor verläuft eine Terrasse mit verdorrten Gewächsen. Oben wie unten ist dieser Ort unwirtlich – von Gastlichkeit kann nicht die Rede sein, die Reisenden können und möchten nicht verweilen, weil die Räume sie bereits durch ihre Konzeption ablehnen. Die Wüste als ein Nichtraum, alles was in sich Leere trägt oder Einsamkeit vermittelt, ist auch diesem Hotel eigen. Oder generell all jenen Plätzen die keine Spuren hinterlassen, keine Erinnerung an eine individuelle Anwesenheit speichern dürfen/können. Die Wiederholung eines solchen Durchganges durch Orte der Leere wird hier in detaillierten Gesten und Abläufen vermittelt. Immer wieder den Mantel an- und ausziehen, den Koffer auf das Bett stellen, durch den Kellerflur hasten oder ein Zimmer anbieten, Türen öffnen. Dennoch werden auch kleine, persönliche Gesten des Scheiterns ausgespielt; die Zigarette kann nicht angezündet werden, der Kopf wird in das Waschbecken gelegt, eine Frau fällt immer wieder vom Sofa während eine andere erst gar nicht fähig ist, sich an einen Tisch zu setzten. Eine Choreografie der Unzulänglichkeiten. Und auch jene „Gäste“ des Hotels selbst sehen gleich aus, ein Reisemantel oder Trenchcoat verhüllt nichts Persönliches.

 

Im Verlauf des Abends wird jedes Detail der Räume vorsichtig abgetastet und beäugt, wohl um doch irgendeine Spur des Vergangenen aufzustöbern – ein (beinahe) unmögliches Unterfangen. Denn hier entziehen sich die entindividualisierten Dinge und Objekte ihrer Nutzung, ihre Verweigerung hat etwas sehr Bedrohliches. Marthalers Inszenierung vermittelt eine Atmosphäre von Beklemmung und eines fast schon Unheimlichen. Es wird nicht miteinander kommuniziert, alle Versuche eines Zusammenkommens können nur angedeutet werden und verflüchtigen sich sofort. Konventionelle Gesten ohne Bedeutung – so wird gelächelt ohne Emotion. Die 15 SängerInnen (5 Männer und 10 Frauen) des Vokalensembles NOVA sprechen und singen eher gegen- als miteinander, anfangs wird jegliche alleinige Äußerung durch die anderen sogar untersagt. Nach und nach können sich erst einzelne Stimmen aber auch Instrumente Gehör verschaffen, sich freispielen.  Meist herrscht jedoch ein Zischen, ein Durcheinander von unterschiedlichen Idiomen (Deutsch, Spanisch, Latein) vor. Die dem Libretto zu Grunde liegenden Texte von Ingeborg Bachmann, Antonio Machado, Händl Klaus, Apuleius und Lukrez oder auch Jan Assmanns Übersetzung eines altägyptischen Papyrus haben alle Reisen durch Erinnerungen, die Einsamkeit der bewohnten wie unbewohnten Orte oder das Anrufen des Todes zum Thema. Beat Furrers Klangforum atmet, quietscht, zittert und schreit dazu Emotionen und Befindlichkeiten als Antwort, Echo oder Vorwegnahme des Kommenden.  Die Klangfragmente überlagern oft die Stimmen bzw. umgekehrt, doch teilweise ist auch Raum für ein Zusammenspiel da. Chöre ebenso wie Soli wiederholen, dehnen sich aus und wollen immer mehr Zeit beanspruchen – es muss möglich sein gehört zu werden, sonst existierst man nicht in der Leere der Wüste. Wer sich nicht veräußert ist nicht da, verschwindet oder schläft – hier wechselt sich das Ensemble mit den SängerInnen ab. Immer öfter kommt es im Verlauf des Stückes zu zaghaften Gemeinschaftsbildungen, eine Menschentraube bewegt sich in Zeitlupe Richtung leuchtenden Ausgang, während Jan Assmanns Übersetzung einer ägyptischen Beschwörung des Todes („Der Tod steht heute vor mir…“) vorgetragen wird. Dennoch zögern sie kurz vor der Tür, schrecken vor dem endgültigen Schritt zurück und verlaufen sich wieder. Das Ende hält jedoch eine Art Versöhnlichkeit, eine Schutzsuche der Wandernden beieinander bereit  – nicht mehr alleine sondern zu zweit, zu dritt, zu viert fallen sie in die Hotelbetten oder sitzen endlich gemeinsam am Tisch. Selbst eine Spur wird gefunden – Haare im Abflussrohr. Ein schwieriger, aber auch großartiger Abend, der durch die vermittelte Beklemmung fesselt.