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02·2011 reflexiv. Geschichte denken

Hrsg.: Thomas Marchart, Stefanie Schmitt, Stefan Suppanschitz
Reihe: SYN. Magazin für Theater-, Film- und Medienwissenschaft.
Band 2, 152 S., 14,90 €, broschiert,
ISBN 978-3-643-50276-6
ISSN 2222-3185
beim Lit-Verlag
auf Amazon
auf Google Books (mit eingeschränkter Vorschau)
Grafiken: Jasmin Schreiber www.jazzrocket.com

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Baukasten Geschichte. Forschung und Fälschung. Repräsentation, Selektion, Transformation. Im Gegenwärtigen arbeitet das Gewesene weiter, lebt als Erzählung, Überbleibsel, Narbe fort. Narrationen bedingen das Jetzt, erklären, mythologisieren und determinieren das Individuum. In welche Krisen treibt uns die Erkundung von Geschichte? Was ist Erinnerung? Reflex, Reflexion oder gar: der Blick in den Spiegel?

– Text zum Call for Papers

Eva Edelmann

Eva Edelmann, geboren 1988 in Vöcklabruck (OÖ), studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien mit Schwerpunkt auf Archivarbeit und Editionswissenschaft.

„Ich bin ein dichterischer Schauspieler.“

Vordergründiges Ziel dieses Aufsatzes ist die Publikation von vier ausgewählten, vollständig transkribierten und edierten Briefen des Schauspielers Oskar Werner (1922–1984) an die Schriftsteller Franz Theodor Csokor (1885–1969) und Felix Braun (1885–1973). Diese vier Briefe geben ausschnitthaft Einblick in die Arbeit des Schauspielers, in dessen theatertheoretische Prinzipien und künstlerische Ideen, wobei der Aufsatz „Theater 1954 von einem jungen Schauspieler“, welcher dem Brief vom 14. Juni 1959 beigelegt ist, hervorzuheben ist. So finden sich in den Briefen Anmerkungen zu Problemen mit dem Wiener Burgtheater, Werners kritische Haltung gegenüber dem damaligen Kunst- und Theaterbetrieb sowie konkrete Überlegungen zur Verwirklichung seines „idealen Theaters“ innerhalb eines eigenen Ensembles. Ein Kommentar versucht, die Briefe in einen erläuternden und biografischen Kontext einzubinden; eine umfangreiche theatertheoretische Auswertung tritt dagegen in den Hintergrund.
Umrahmt werden die Briefe und der Kommentar von einer kurzen Überlegung zur Aufgabe und zum Wert der Edition von Schriften, die in Platons Phaidros noch als stumm und statisch kritisiert werden: Einerseits wird/werden im Vorgang des Edierens von Schriften die Bewegung(en) der Vergangenheit ins Heute transformiert, andererseits erhalten Archive und Editionsarbeit somit das Potenzial, Schriften aus ihrer zeitlichen Begrenzung zu lösen und sie in einen Dialog mit der Gegenwart treten zu lassen.

Simon Huber

Geboren 1987 in Wien, AHS-Abschluss 2006, Studium der Geschichte und Bildungswissenschaft an der Uni Wien seit dem Wintersemester 2007. Thematische Schwerpunktsetzung: Geschichtsdidaktik zwischen Geschichtstheorie und Historiographie.

Visualisierung mittelalterlicher Macht im Computerspiel

Geschichte wird nicht mehr nur geschrieben, gefilmt, besungen, erdichtet und aufgeführt, sondern auch gespielt. Wird das Spiel mit Johan Huizinga als „Kampf um die richtige Darstellung“ betrachtet, ringen auch Strategiespieler am PC vor historischen Kulissen um die richtige Geschichte. Doch was ist wahr an diesen Visualisierungen und warum stimmen sie doch nicht, obwohl man gewinnt? Die nahe liegende Antwort: Es ist doch bloß ein albernes Spiel! Dennoch, wenn man virtuelle Geschichtsbilder mit den historischen abgleicht und die Transformation zurückverfolgt stößt man auf Sachverhalte von Relevanz: Was und wie können wir aus dem – an sich banalen – Spiel mit der Geschichte lernen? Diese Arbeit möchte zeigen, wie Phänomene mittelalterlicher Macht zu Bildern gemacht und spielerisch nach modernen Vorstellungen umgestaltet werden, so dass naive Nutzer glauben könnten, Geschichte selber zu inszenieren. Exemplarisch werden zwei Computerspiele und die Visualisierungen, die sie vom Mittelalter liefern, untersucht, um zu reflektieren welche Mechanismen am Werk sind, wenn wir Geschichte spielen.

Matthias Georg Jodl

Matthias Georg Jodl, geboren 1979 in Wien, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Philosophie. 2000 bis 2001 Bundessprecher der Jungen Liberalen Österreichs. Von 1999 bis 2002 Tätigkeit als Regieassistent und später als Dramaturg bei freien Wiener Theatergruppen, dem Donaufestival Krems und dem Schauspielhaus Wien. Seit 2002 Dramaturg am Rabenhof Theater.

Inszenierte Ewigkeitswerte
Veit Harlans Jud Süß

Die Arbeit untersucht die Inszenierung von nationalsozialistischen Ewigkeitswerten am Beispiel Veit Harlans Film Jud Süß. Zu diesem Behufe wird insbesondere die grundlegende Geschichtsauffassung der Nationalsozialisten genauer betrachtet und in aller gebotenen Kürze in Relation zu den Modellen Kants und Poppers gesetzt. Dass durch eine scheinbare Kenntnis der Mechanismen der Geschichte diese der politischen Kraft dienstbar gemacht werden kann, ist ein tragischer Irrtum, der zu der verhängnisvollen Erhebung des hypothetischen Imperativs zu einer moralischen Scheinrechtfertigung führt. Jud Süß operiert genau damit, Harlan bedient sich der historischen Person Joseph Süß Oppenheimers, um aus der tendenziös gebrauchten Geschichte ein Sollen zu konstruieren, das den Ewigkeitswerten der Nationalsozialisten überzeitliche Legitimation zu verschaffen trachtet.

Andreas Schmiedecker

wurde 1988 in Wien geboren, wo er auch Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Slawistik und Anglistik studiert. Er beschäftigt sich mit Narration und Biografie, sowie zeitgenössischem russischen Theater. Studienaufenthalt in Moskau, Tutor am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft.

Fassungslose Geschichtsschreibung
Geschichtliche und biografische (De)Konstruktionen bei Thomas Harlan

In den Film- und Prosaarbeiten von Thomas Harlan (1929-2010) scheinen, nicht zuletzt verbunden mit den Besonderheiten der Familiengeschichte des Künstlers, einzigartige Konzepte von Geschichte und Narration aufeinander zu treffen. Wundkanal (1984) lässt einen ehemaligen Kriegsverbrecher eine Variante seiner eigenen Biografie verkörpern und auf kontinuierliche Verbrechenslinien vom dritten Reich zur BRD treffen; die Romane Rosa (2000) und Heldenfriedhof (2006) verknüpfen Fakten und Fiktionen zu einer Konstruktion, die das Verhältnis von Erlebnis, Schuld und Erzählung auf wohl einzigartige Weise befragt. In der formalen und inhaltlichen Gestaltung seines Werks können nun übergreifende Methoden aufgespürt werden, die zu einem mehrstufigen Modell der Beschäftigung mit dem Vergangenen führen – die „Fassungslosigkeit“ wird dabei zum Argument gegen die „Undarstellbarkeit“.

Moritz Schumm

begann sein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft 2006 an der Universität Wien.
Von dort wechselte er an das Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Seit dem Abschluss mit dem Bachelor of Arts der Theaterwissenschaft im Sommer 2009
studiert er, ebenfalls an der Freien Universität, im Masterstudiengang Filmwissenschaft am Seminar für Filmwissenschaft.

Das Geschichtsbild Walter Benjamins als eine Frage der Haltung

Der starke Bezug auf den historischen Materialismus und seine Strukturen, mit denen gesellschaftliche und industrielle Entwicklung miteinander in Beziehung gesetzt werden, dienen Walter Benjamin nicht nur als einfaches Erklärungsmodell. Viel mehr noch versteht sich sein Verständnis von Geschichte als eine Aufgabe, die sich immer wieder dem einzelnen, wie einer ganzen Gesellschaft, dabei aber vor allem auch immer der Kunst stellen muss.
In diesem Sinne ist es das Ziel dieser Arbeit, Benjamins Geschichtsbild in enger Beziehung zu seinen ästhetischen Schriften zu verstehen. Denn es ist darin immer wieder diese Perspektive, aus der heraus sich nicht nur der Einsatz und die Überzeugung Benjamins für eine spezifische Kunstform zum Ausdruck bringen. Letztendlich ist es auch immer wieder die darin artikulierte Hoffnung den Kreislauf sich immer fortschreibender Entfremdung durchbrechen zu können.

Maria Schwab

wurde 1987 in Bischkek, Kirgistan, geboren. Das Abitur absolvierte sie in Regensburg. Nach mehreren Engagements im Bereich der Filmproduktion studiert sie seit 2008 Neuere Deutsche Literatur, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Ihr Interesse gilt insbesondere den literarischen und künstlerischen Strömungen um 1900 und den mit diesen verbundenen Künstlern und Literaten. Momentan ist sie an der Bibliothek für Kunstwissenschaften (München) als studentische Hilfskraft tätig

„Sehen lernen“

Das Erleben einer Stadt. Dinge, die ins Auge springen und wieder andere, die kalt lassen. Wenn wir uns diesen Prozess des Beobachtens bewusst sind, gibt er uns Aufschluss über uns selbst. Wenn wir daraus 71. Aufzeichnungen anfertigen, geht es um eine grundlegende Reflexion des eigenen Ichs. Wenn dieses Ich letztendlich verschlossen bleibt, richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Höhere, Göttliche.
Diese Situation ist für Malte, dem Protagonisten von Rilkes einzigem Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, zwar zutreffend, aber keineswegs einfach zu bestimmen. Das Visuelle, das sich vor allem auf seinem Ziel des ‚Sehen Lernens‘ beruht, bekommt im Roman drei unterschiedliche Funktionen. Es offenbart die Verlorenheit der Hauptfigur im jungen 20. Jahrhundert, verweist aufgrund dieser gleichzeitig auf seine Identität und liefert die Grundlage für Maltes künstlerisches Schaffen. Schließlich mündet es in das Streben nach göttlicher Transzendenz.
Im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Arbeit werden die erwähnten Aspekte des Romans mittels einer sprachanalytischen Untersuchung der 12. und 38. Aufzeichnung beleuchtet. Besonders auffällig erscheint dabei Rilkes Übertragung optischer Konzepte, wie Raum, Form und Farbe, ins sprachliche Gefüge und die spezifische Rolle der Visualität.

Stefanie Zingl¹

geboren 1986, eineinhalb Jahre Auslandsaufenthalt in Washington D.C. Seit 2007 Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Kunstgeschichte an der Universität Wien. Absolviert gerade ein Auslandssemester in Havanna, Kuba, um sich mit dem kubanischen Film und dem Mythos der Revolution in der kubanischen Kunst zu beschäftigen

Erinnerung ‚on demand‘
Thomas Demands reflexive Fotografie

„Die PHOTOGRAPHIE ruft nicht die Vergangenheit ins Gedächtnis zurück (nichts Proustisches ist in einem Photo)“, erklärt Roland Barthes in Die helle Kammer. (Roland Barthes: Die helle Kammer, Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985, S. 91.) Fotografien liefern lediglich Impulse, um Erinnerungen hervorzurufen. Der Künstler Thomas Demand verankert das Motiv der Erinnerung als zentrales Rezeptionsmoment in seiner Modellfotografie. Mittels einer medienanalytischen Methodik begibt sich die Autorin auf die Suche nach den Spuren seiner Arbeitsweise, die diese Reflexionsprozesse in Gang setzen. Des Weiteren wird aus einer komparativen Perspektive René Magrittes Aussage „Ceci n`est pas une pipe“ und Thomas Demands Bildwirklichkeit betrachtet. Diesbezüglich wird seine Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Papier und die Abwesenheit von Mensch und Schrift in seinen Fotografien behandelt.

¹ Wie wir leider zu spät bemerkt haben, ist der Name im Band 02·2011 falsch (mit „ph“) geschrieben. Wir bitten dafür vielmals um Entschuldigung!

Material(erhalt) im Archivbetrieb

Praxis der Vergangenheitskonservierung oder der Gedächtniskastration?
Dem Klischee von verstaubten und altbackenen Materialien, Räumen und Tätigkeiten rund um den Begriff Archiv galt es mit diesem essayistischen Projekt entgegenzuwirken. Dazu wurden im Februar 2011 Einzelgespräche geführt mit Paolo Cabepelle (Österreichisches Filmmuseum, Wien), Peter Clar (Elfriede Jelinek Forschungszentrum, Wien), Julia Danielczyk (Handschriftensammlung, Wienbibliothek im Rathaus), Magdalena Duftner/Ute Kannengiesser (Essl Museum, Klosterneuburg/Wien), David Landolf (Lichtspiel Kinemathek, Bern), Birgit Peter (Archiv des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Wien) und Max Plassmann (Historisches Archiv der Stadt Köln). In der Auseinandersetzung werden, unter besonderem Rekurs auf Restaurierung, Vermittlung und Digitalisierung, der institutionelle Umgang mit Archivalien und der stetige Kampf gegen Verfall und Veränderung herausgearbeitet.